Nordrhein-Westfalen Straßenausbaubeiträge (2024)

"Halbierung der Straßenausbaubeiträge nur ein Marketing-Trick"

7.September 2020

Lydia Schumacher, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Bürgerinitiativen in NRW, „SCHLUSS MIT STRABS!“, hat dem VDGN ein Interview gegeben, das in der nächsten Ausgabe der Verbandszeitschrift "Das Grundstück" erscheinen wird. Im Folgenden veröffentlichen wir den Wortlaut des Interviews:

Frau Schumacher, mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen Ende vergangenen Jahres eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG) beschlossen. Ungeachteteiner von 470.000 Bürgern unterzeichneten Volksinitiative für die Abschaffung wird darin an den Straßenausbaubeiträgen festgehalten. Zumindest sah man sich veranlasst, die Beiträgezu halbieren. Wie ist das von den Betroffenen aufgenommen worden?

Mit großer Enttäuschung, denn selbst die Botschaft von der Halbierung ist nur ein Marketing-Trick der Koalition. Fakt ist: Die Beiträge wurden gerade nicht rechtssicher für alle betroffenen Anlieger halbiert. Davon steht bis heute kein Wort im Kommunalabgabengesetz. Der vorhandene Paragraf 8, der noch die Mär von den angeblichen „wirtschaftlichen Vorteilen“ enthält, ist unverändert geblieben. Hinzugefügt wurde ein Paragraf 8a. Daraus erwachsen den Kommunen viele neue Aufgaben, die den Verwaltungsaufwand hochtreiben. Den hat der Bund der Steuerzahler in NRW vorher schon mit mehr als 50 Prozent der Beitragseinnahmen beziffert. Und jetzt wird der bürokratische Aufwand noch steigen.

Weshalb ist dann in NRW von einer Halbierung der Beiträge die Rede?

Das ging am Parlament vorbei. Die zuständige Ministerin, Ina Scharrenbach (CDU), hat 65 Millionen Euro im Haushalt für dieses Jahr bereitgestellt. Dazu gab es eine Förderrichtlinie als Runderlass ihres Ministeriums. Demnach haben Kommunen die Möglichkeit, Fördergelder zu beantragen, die bis zur Hälfte der Anliegerbeiträge betragen können. Sofern diese dann ausgezahlt werden, sinken tatsächlich die Kosten für die jeweils betroffenen Anlieger. Aber die Hürden sind erstens enorm hoch und zweitens hat kein Anlieger einen Rechtsanspruch darauf. Diese sogenannte Halbierung wird sich spätestens dann selbst entlarven, wenn die erste Stadt Mittel für zwei Straßen beantragt, aber nur noch für eine das Geld im Topf ist. Dann zahlt der eine Nachbar tatsächlich die Hälfte, während der andere den vollen Betrag berappen muss. Von Gleichbehandlung kann da keine Rede sein.

Wer sind die größten Verlierer angesichts dieser halbherzigen Lösung?

Leider ist das gar keine Lösung, und die Anlieger bleiben die Verlierer. Zum Beispiel an den Straßen, für die der Beschluss zur Grundsanierung vor dem Stichtag 1. Januar 2018 fiel. Das trifft auf die meisten Betroffenen zu, die seit Jahren in den Bürgerinitiativen aktiv sind und angesichts dieser Beiträge um ihre Existenz fürchten. Es darf nicht sein, dass in NRW immer noch Menschen qua Gesetz alles verlieren können, wofür sie ihr Leben lang gespart und Verzicht geübt haben. Und das nur, weil zufällig ihre Straße an der Reihe ist. Andere Bundesländer haben das längst erkannt und diese Ungerechtigkeit abgeschafft.

Die Regierungskoalition verweist darauf, dass Betroffene jetzt die Möglichkeit haben, die Beiträge in 20 Jahresraten abzuzahlen – mit einem Zinssatz, der sich am Markt orientiert. Wie bewerten Sie diese Regelung?

Das ist der einzige Teil des neuen Paragrafen 8a, der Betroffenen theoretisch nutzen kann. Allerdings werden zwei Prozent über dem Basiszins kassiert. Wer also kein Geld hat, muss zusätzlich Zinsen berappen. Wir wissen aber auch, dass eine Ratenzahlung über 20 Jahre für die Kommunen viel mehr Aufwand bedeutet, und sie müssen das Geld vorstrecken. Sie täten gut daran, mit uns gemeinsam die Abschaffung zu fordern. Bürger und Kommunen sitzen sowieso in einem Boot.

Ist es der Landesregierung gelungen, den Druck zumindest etwas aus dem Kessel zu lassen, oder werden die Straßenausbaubeiträge weiterhin ein großes Thema in NRW bleiben?

In NRW wird es in dieser Frage keinen Frieden geben, ehe die Beiträge abgeschafft sind. Warum kann NRW nicht, was andere Bundesländer längst geschafft haben? Der Paragraf 8 KAG ist nun einmal nicht reformierbar. Aber die schwarz-gelbe Koalition hat Ende August erneut die Chance verpasst, einem SPD-Antrag zur Abschaffung zuzustimmen. Und anstatt Frieden in das Thema zu bringen, hat sie in gleicher Sitzung auch noch eine weitere Bürgerbelastung zementiert: An Straßen, die nachweislich seit hunderten Jahren durch die Orte führen, werden plötzlich Ersterschließungsbeiträge nach Baugesetzbuch kassiert. Die sind auch existenzbedrohend. Der längst vom Bundesverfassungsgericht geforderten zeitlichen Begrenzung für solche Ersterschließungen uralter Straßen hat die NRW-Koalition eine Absage erteilt. Der Anlieger bleibt der Zahlmeister, der zusätzlich zu allen Steuern die Löcher bei der staatlichen Daseinsvorsorge stopfen soll. Straßenbaubeiträge und geldverschlingende Bürokratiemonster kann man aber abwählen. Dazu werden wir demnächst bei den Kommunalwahlen Gelegenheit haben und in zwei Jahren bei der Landtagswahl.

Lydia Schumacher, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Bürgerinitiativen in NRW, „SCHLUSS MIT STRABS!“. Kontakt: info@strabs.nrw

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